Das abgelaufene Jahr war ein Jahr voller Herausforderungen und kann in vielerlei Hinsicht als historisch betrachtet werden. Direkt zu Jahresbeginn eskalierte der Russland-Ukraine-Konflikt. Eine friedliche Lösung halten wir zumindest kurzfristig für unwahrscheinlich.
Der Krieg, die Auswirkungen der COVID-Pandemie sowie die Angebotsknappheiten aufgrund von weiterhin nicht intakten Lieferketten und einer strikten Lockdown-Politik in China führten weltweit zu rekordhohen Inflationsraten. Speziell Energie- und Rohstoffpreise machten dabei Wirtschaft und Verbrauchern schwer zu schaffen und sorgten für Unsicherheit sowie eine andauernde Energiekrise in Europa. Die Notenbanken reagierten weltweit mit einer deutlichen Verschärfung Ihrer Geldpolitik und vollzogen damit eine Abkehr von ihrer jahrelangen expansiven Vorgehensweise.
Die historisch schnell ansteigenden Teuerungsraten und die daraufhin aggressiven Zinsanhebungen veranlassten die Wirtschaftsexperten und Marktteilnehmer, ihre Wachstumsprognosen für 2022 und die anschließenden Jahre deutlich zu reduzieren. Daraufhin korrigierten nicht nur die Aktienmärkte, sondern ebenso die Anleihemärkte deutlich. Der breite S&P500 verlor in USD berechnet knapp 20%, während sein US-Technologiependant, der Nasdaq100, sogar über 33% nachgab.
Das Segment der jungen Wachstumsunternehmen büßte sogar über 60% an Wert ein. Vor dem Hintergrund der massiven Energiekrise überraschten dagegen die vergleichsweise stabilen europäischen Aktienindizes DAX und Stoxx600 mit Verlusten von jeweils 13%. Der Schweizer Aktienmarkt verlor 17%. Die bisher gewohnten Stützungen der Anleihemärkte durch die Notenbanken wurden mit ihrer neuen Ausrichtung gedrosselt bzw. blieben ganz aus. Die globalen Rentenmärkte verzeichneten teilweise historische Verluste, Unternehmensanleihen gaben, je nach Bonität, 15-20% nach. Sogar die als sicher geltenden Staatsanleihen verloren mit 15% zeitweise zweistellig an Wert.
Das zeitlich ungleiche Vorgehen der stark bremsenden FED in Relation zu den eher vorsichtigen Zinsanhebungen der EZB und anderer Notenbanken führte zu einem Erstarken des US-Dollars gegenüber nahezu allen anderen Währungen. Auch Gold konnte sich in diesem Umfeld dem Druck der Zinsanhebungen nicht entziehen und ging, in US-Dollar gerechnet, trotz diverser Krisen nur nahezu unverändert aus dem Jahr. Die Kapitalmärkte waren im Jahr 2022 gezwungen, sich von ihrer jahrelangen, sehr hohen Liquiditätsversorgung schmerzhaft zu entwöhnen. Neben den auslaufenden Anleihekäufen der europäischen und amerikanischen Notenbanken liefen zudem auch Corona-Unterstützungen aus. Dieser fehlende Liquiditätsaspekt, verbunden mit den oben genannten Belastungsfaktoren (Inflation und Zinspolitik), führte zu Rezessionssorgen. Schwächere Wirtschaftsdaten wie Einkaufsmanagerindices, Kapazitätsauslastungen und sinkende Auftragseingänge untermauerten dieses Szenario.
Das Zusammenspiel aus anhaltend hohen Inflationsraten und schwachem Wirtschaftswachstum rückte im letzten Quartal die Angst vor einer Stagflation in den Fokus. Bisher war der Arbeitsmarkt dagegen erstaunlich stabil, aber Unternehmen wie Google, Amazon und viele weitere gaben für 2023 bereits umfangreiche Stellenkürzungen bekannt. Ausgewogene und defensive Anleger wurden mit hohen Schwankungsbreiten bei Anleihen konfrontiert, die vielen Marktteilnehmern so bisher unbekannt waren.
Das bedeutet, dass im Jahr 2022 ausgerechnet die beiden Anlageklassen Aktien und Anleihen, aus denen die meisten Anlegerportfolien zusammengesetzt sind und die sich eher ausgleichen sollten, parallel an Wert verloren. Eine Portfolioprüfung auf Basis des Verhältnisses von Chance zu Risiko der einzelnen Assets nimmt damit einen deutlich höheren Stellenwert als in der Vergangenheit ein.